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Ilona Németh: "Alles einpacken..."

23. März - 20. Mai 2017

Kuratiert von Krisztina Hunya

Einleitung: Gábor Hushegyi

 

In welchem Verhältnis stehen machtpolitische Entscheidungen und historische Ereignisse zur individuellen Wahrnehmung? Welche Erinnerungen verbergen sich hinter geerbten Möbelstücken und Aufzeichnungen, und welche Erkenntnisse tragen sie für unsere Gegenwart?

 

Solche Fragen führen die ungarisch-slowakische Künstlerin Ilona Németh seit mehreren Jahren stetig zu der Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Familienchronik. In fortlaufenden Installationen, Videoarbeiten und manipulierten Objekten widmet sie sich persönlichen Schicksalen, die eng mit geopolitischen Entwicklungen verwoben sind. In der Ausstellung "Pack up Everything" – „Alles einpacken“ – werden drei Tische aus unterschiedlichen Milieus um Fotomaterial ergänzt selbst zu Protagonisten. Sie erzählen von ihren ehemaligen, mitteleuropäischen Besitzern in der Zeit von den späten 1940er bis in die frühen 1990er Jahren. Zeit, Ort und Herkunft, die sich im Design der Möbelstücke abbilden determinieren unterschiedliche Perspektiven und Handlungsräume.

 

Das titelgebende Werk entstammt der unmittelbaren Nachkriegszeit und dem Kontext der Kollektivschuldzuweisungen zur Stärkung nationalstaatlicher Konstruktionen. Die Ungarn auf dem Gebiet der Tschechoslowakei wurden pauschal eines gemeinschaftlichen Kriegsverbrechens für schuldig erklärt, vergleichbar mit der Brandmarkung der deutschen Bevölkerung. Präsidiale ‚Beneš-Dekrete’ markierten 1945–1948 die verschiedenen Abschnitte der systematischen Besitzenteignung und Entziehung staatsbürgerlichen Rechts, bis hin zum Verlust der körperlichen Freiheit durch Zwangsarbeit. Der titelgebende, massive Holztisch wohlständigen tschechoslowakischen Designs, reflektiert diese Situation und evoziert das Esszimmer einer mehrköpfigen, aber allmählich schrumpfenden, ländlichen Familie ungarischer Herkunft. Der immanente, taktvolle Klang – ein väterlicher Faustschlag oder abrupter Bewegungsmoment  – der im zeithistorischen Gedeck nachklirrt ertönt wie ein Musikinstrument der Nachkriegsjahre. Das beigefügte Archivmaterial verbildlicht die historische Situation der Zwangsabschiebungen und verschiedene Versuche die Deportationswege zu rekonstruieren.

 

Eine ähnliche Orientierungslosigkeit bestimmt das nächste Objekt der Ausstellung mit dem Titel 17 567 2 850 5 (2016). Umgeben von einer obskuren Reihe akribisch notierter Zahlverläufe, offenbart die minutiös ratternde Tischplatte das Portrait eines sparsamen Lebens im sozialistischen Alltag. Fluten von vermeintlichen Heizuhranzeigen erscheinen hier als identitätsstiftende Anhaltspunkte, lassen jedoch mehr Fragen offen als sie über die Besitzerin des Tisches bekannt geben. Während das künstlerische Werk von persönlichen Erinnerungen an eine Tante, die vor den Folgen der ‚Beneš-Dekrete’ nach Budapest flüchtete spricht, bildet die Installation den Rahmen für eigene Assoziationen.

 

Doch die Verlierer und Gewinner politischer Wendezeiten sind oft ident, wie das Archivfoto von Jenő Németh auf der Flora Bratislava 1971 (2012) zeigt. Der Vater der Künstlerin, damals Vizeminister für Landwirtschaft, eröffnete 1971 die pompöse Blumenausstellung in der unlängst abgerissenen Ausstellungshalle des Parks für ‚Kultur und Erholung’. Er schreitet gemäß autoritären Staatsprotokolls an der Spitze der Delegation, umgeben von kosmischen Bällen weißer Blumenarrangements, die das Weltbild und Repräsentationsbedürfnis der Ära widerzuspiegeln scheinen. Der korrespondierende schwarze Verhandlungstisch 1991 (2014), der sich auf Annäherung öffnet und wieder schließt, führt die Metapher der Vergänglichkeit weiter. Die politisch-ökonomische Wendezeit manifestierte sich auch für Jenő Németh als eine Umbruchsituation neuer Herausforderungen und als Übergang von der kommunistischen Parteimitgliedschaft hin zu Versuchen in kapitalistischen Unternehmen. Es ist in dieser Flüchtigkeit der stabil scheinenden Strukturen, wie in der Bewegung des Tisches die Mechanismen der Geschichte mitschwingen.

 

So werden in der Ausstellung "Pack up Everything" Objekte, Besitzer und Kontexte zu miteinander verwobenen Entitäten, die sich vielleicht gar nicht so stark voneinander unterscheiden. Auch Personen können unter Umständen aus den geltenden juristischen Systemen ausgeschlossen werden, sei es durch nationalstaatliche Exklusion, dem Limbo-Zustand des Refugiums oder dem Dilemma sich neuen Systemen anzupassen. Objekten wiederum haften personifizierende Merkmale an, deren Bedeutung in der Wertschätzung einer Gesellschaft gemessen wird. In einer Welt globaler Netzwerke und asymmetrischer Relationen, werden Menschen in Bewegung ständig mit der Frage konfrontiert: Was wird behalten und was soll vergessen werden? Németh entscheidet sich für die Erinnerung und übersetzt die Resonanzen individueller Schicksale im Schatten hegemonialer Entwicklungen in die quietschenden, knarrenden und klirrenden Geräusche unsichtbarer Tischmaschinerien.

 

Die Ausstellung “Pack up Everything” wurde zuerst in der SODA Gallery Bratislava präsentiert und reiste anschließend in die Knoll Galerie Budapest. Die Recherche und die Ausleihe historischen Archivmaterials wurden durch das Slowakische Museum für Ungarische Kultur (Szlovákiai Magyar Kultúra Múzeuma - Múzeum kultúry Maďarov na Slovensku) ermöglicht.